Hans Körner ist ein erfahrener Verkäufer im Hamburger Teppichhaus Weise, als
er zu Anfang des 20. Jahrhunderts durch einen dummen Fehler seine Stelle
verliert. Gemeinsam mit einem Praktikanten der Firma entsteht der Plan, die
Identitäten zu tauschen. Körner wird als Ludwig Brehm nach Konstantinopel
reisen und für ein Jahr im Teppichhandel Ihmsen & Witt arbeiten. Die Stadt
zwischen Orient und Okzident soll angeblich ideal zum Untertauchen sein. Brehm
wird sich mit Körners Papieren Richtung Panama einschiffen. Ein gefährlicher
Plan für den ahnungslosen Körner; denn Brehm könnte ein gesuchter Spitzbube
sein.
Der neue Ludwig Brehm nimmt die Arbeit bei Ihmsen Pascha und dessen Kompagnon
Richard Witt auf. Sein Rollenwechsel erfordert mehr Konzentration als erwartet;
denn seine Chefs ahnen bald, dass sie nicht den erwarteten nichtsnutzigen
Schnösel vor sich haben, dessen Vater sie einen Gefallen schuldeten, sondern
einen erfahrenen Mitarbeiter. Im großen Haushalt der deutschen Händler wird
vom angeblichen Brehm eine Sicherheit auf gesellschaftlichem Parkett erwartet,
die Hans Körner nicht bieten kann. Auslandsstudium, Klavierspielen, Reiten -
als Junge aus einfachen Verhältnissen muss er sich immer wieder herausreden und
braucht bald ein Notizbuch, um seine neue Lebensgeschichte zu pauken. Schon auf
der Bahnreise hatte "Ludwig" eingesehen, dass Französisch sprechen
sollte, wer auf dem Balkan unterwegs ist. Ludwig lernt bald Milena Bonnard
kennen, die sich in der Stadt als Gesellschafterin und Französisch-Lehrerin
durchschlägt. Milena muss erfahren, dass Konstantinopel Handelsplatz für
Informationen aller Art ist und die Verkäufer dieser Informationen nicht lange
fackeln, um an ihre Ware zu gelangen. Nicht nur Ludwig hat etwas zu verbergen.
Dass diese brutale Welt auch ihm gefährlich werden kann, ahnt er jedoch nicht.
Derweil hat sich eine Cousine des echten Ludwig zu Besuch ankündigt, die den
falschen Brehm auffliegen lassen könnte. 14 Jahre nach dem Jungenstreich von
Hans und Ludwig kehrt ein sichtlich gealterter Reiter in seine Stadt zurück,
die er beinahe nicht wiedererkennt; denn sie wirkt prächtiger als in seiner
Erinnerung. Der Mann spricht Türkisch und scheint die Deutschen zu suchen die
hier einmal lebten …
Mit Richards britischer Ehefrau Edith, dem armenischen Angestellten Victor, dem
aus Bessarabien geflüchteten Avram und einem britischen Archäologen treten
neben Milena höchst interessante Figuren auf, die ich gern intensiver
kennengelernt hätte. Edith hat den verwitweten Richard geheiratet und befindet
sich noch mitten im Kampf um die Gunst seiner Kinder aus erster Ehe. Für die
Zeit der Handlung eine realistische Situation und ein bewährtes Setting in
Familienromanen. Ludwigs Rollentausch, der ihn eher zum Tief- als zum
Hochstapler werden lässt, und das gesellschaftliche Leben "zwischen den
Welten" nehmen in Petra Oelkers opulentem historischem Roman breiten Raum
ein. Das hoch interessante Gewerbe des Teppichhandels spielt eher eine
Nebenrolle. Der Bau des Suez-Kanals, der Bagdad-Bahn und der Beginn des
Kreuzfahrt-Tourismus liefern den wirtschaftshistorischen Hintergrund zum
farbenprächtigen Szenario einer Stadt der Händler und Bazare. Zunächst leise
Töne an den Kaffeetischen brechen schon bald auf zu harscheren Worten; denn dem
Osmanischen Reich stehen bedeutende Veränderungen bevor.
Fazit
"Brücke zwischen den Welten" führt kurz vor dem Auseinanderbrechen
des Osmanische Reichs, in der Hauptsache als spannender Gesellschafts-Roman,
Figuren aus Ost und West zusammen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 29. Oktober 2018 2018-10-29 19:16:45