Nah heran an den Menschen
"Kinder spielen eine Schlüsselrolle in Dostojewskis Werk, doch über seine
eigene Kindheit schweigt er beharrlich".
Schon was den Beginn seines Lebens angeht (und das behält der Autor ein Leben
lang bei), ist das "Private" ausdrücklich nicht sein
"öffentliches Thema". Gerade aber dieses Private in Licht und
Schatten ist es, was nun Andreas Guski überzeugend, umfangreich und dabei immer
in den Bezug zum Werk setzend in dieser überaus gelungenen Biographie dem Leser
nahebringt.
"Im Gegensatz zu vielen seiner Helden war ihm Selbstentblößung
zuwider"!
Aber im akribischen Nachgang der Erinnerungen von Andrej, des jüngeren Bruders
Dostojewskis schält Guski ein Bild dieser Kinderjahre heraus, dass er umgehend
mit Atmosphären, Szenen, grundlegenden Gestaltungsräumen in den Romanen in
Verbindung bringt. Mitsamt der klaren, direktiven, aber auch tiefen Frömmigkeit
der Eltern und der eher zerrissenen Familiengeschichte, welche die jungen Jahre
Dostojewskis prägte. Bis dahin, dass in "Der Idiot" auch das ihm
selbst wichtige, "heilige" mit genutzt wird, das Grab seiner Mutter
als Teil der Erzählung eines Possenreißers mitaufzunehmen, wie auch so manche
"Wohnsituation" im späteren Werk deutlich angelehnt sind an eigenes
Erleben in "fensterlosen Kabuffs" der Kindheit.
Daher erschließt sich aus dem biographischen Erleben des Mannes sein Stil und
Thema. "Dostojewski ist ein Autor der Krise", der eigene Erfahrungen
immer wieder in seinen Romanen nutzt und eigene, innere Fragen und Haltungen
darin zum Ausdruck bringt. So geht Guski genau den anderen Weg als den, der
nicht selten verbreitet ist und darin gipfelt, das "persönliche Leben des
Autors als peinliches, nur leider unentbehrliches Anhängsel an (dessen) Werk zu
betrachten". Person, Prägung, Geschichte, Erlebtes, Sicht der Welt und die
Spiegelung der aufgeheizten Atmosphäre seiner Zeit finden sich daher in den
Werken wieder und werden von Guski akribisch offengelegt.
Was unter anderem dazu führt, dass die innere Nähe der Weltbetrachtung
inklusive Restauration der orthodoxen Kirche zwischen Dostojewski und Wladimir
Putin ebenso aktuell herausgearbeitet wird, wie das gesamte Werk Dostojewski in
seiner Pointierung der "Krisen seiner Zeit" vielfache Parallelen zur
Gegenwart aufweist und daher immer noch aktuell zu lesen ist und nicht nur im
historischen Kontext als Lektüre einzuordnen ist. Grundsätzliches, auch die
Gegenwart wieder mitbestimmendes in Dostojewskis Leben erlebt worden du von
Dostojewski unnachahmlich in Literatur gegossen worden.
Worin sich auch eine andere Zerrissenheit der Person widerspiegelt. Der Wunsch
nach literarischer "Karriere" und die Abscheu vor dem damit
verbundenen "Anpassungsdruck", Motive, die ebenfalls, wie Guski zeigt,
in den Romanen verarbeitet werden. Mitsamt des "Lebensdurstes", der
nach 11jähriger "Verbannung" und Strafarbeit sich teils maßlos Bahn
brach. Chronologisch arbeitet sich Guski dabei durch das Leben und die Stationen
des Autors, weist Verbindungen auf zur grundlegenden Prägung des Mannes und
seinem Werk, wie auch zu den Entwicklungsphasen dieses Lebens, die das Werk je
mitbestimmt haben.
Fazit
Heraus kommt eine überzeugende Darstellung des Mannes Dostojewski und eine
kluge Werkschau, in der Guski Person und Idee, Werk und Leben miteinander gut
lesbar in Korrelation setzt. Mit vielfachen Differenzierungen, die aufzeigen,
dass wiederum das Werk eben nicht eins zu eins das Denken und Handeln des Autors
wiedergibt, sondern aus dem eigen Erlebten, zusammen mit dem literarisch
erdachten, eine eigenständige, andere Welt hervorbringt. Und die auch erklärt,
warum Dostojewski ab einem bestimmten, konkreten Ereignis heran ein "guter
Untertan" geworden ist und dennoch sich rieb und rieb an äußeren
Situationen und anderen Personen.
Sehr gelungen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. Juni 2018 2018-06-03 13:37:37