Bestechende "böse" Familienbande
Anders als es der Klappentext zunächst suggeriert, ist dieser umfangreiche
Thriller beileibe keine einfache und gradlinig erzählte Geschichte über einen
Psychologen auf "Serienmörder-Jagd". Sondern ein vielfach
verflochtenes "Familiensystem", dass sich dem Leser erst mit der Zeit
aus verschiedenen Perspektiven und ausführlichen Rückblicken her erschließt.
So beginnt das Buch zwar mit der vermeintlichen Hauptperson Dustin Tillmann, ein
Psychologe mit kleiner Praxis, der zuallererst einmal ein (weiteres)
persönliches Drama in der Gegenwart erlebt und eher am Rande mit einem
merkwürdigen Todesfall, scheinbar durch Ertrinken, zu tun bekommt.
Dann aber räumt Chaon erst einmal einem der Teenager Söhne Tillmanns viel
Platz ein, ohne dass der Leser zunächst eine Ahnung davon hätte, wohin diese
Exkursionen in das Partyleben und den Drogengenuss des jungen Mannes führen
könnte. Was sich am Ende dieses Teils des Thrillers mit überraschenden
Wendungen plötzlich bestens ergibt. Spätestens ab da und im Rückblick auf die
tödliche Familienfeier in Dustin Tillmanns Jugend, infolge derer sein
Adoptivbruder Rusty Jahrzehnte als verurteilter Mörder im Gefängnis saß,
zieht das Buch den Leser wie in einen Sog mithinein in die vielfachen, erst
langsam zu erkennenden, dann aber zwingend zuschlagenden Verbindungen zwischen
all den Personen und Familienmitgliedern, die je ihre Perspektive der Ereignisse
mit ins "Spiel" bringen werden.
Verwirrend, teils abstoßend (das "inzestiöse Leben" mitsamt
frühreifer junger Mädchen und versagender Eltern), teils mehr Fragen als
Antworten aufwerfend (die Person des (vermeintlichen?) Polizisten Aquin, der den
Psychologen mit einer ganz speziellen Theorie nicht in Ruhe lassen wird, selbst
aber soviel Fragen ums eine Person und Motive aufwirft, dass sich daraus fast
wieder eine ganz eigene Geschichte ergeben wird) und Seite für Seite
interessanter, so ergibt sich die Dynamik des Thrillers.
In dem Chaon, leider, sprachlich mit den geschilderten Ereignissen nicht immer
ganz mithalten kann. Zu dokumentarisch angehaucht, zu distanziert bildet Chaon
(nicht immer, aber teilweise) komplexe Emotionen ab. Mit der Folge, dass es eben
dauert (aber passiert), bis der Leser auch emotional in der Tiefe der
verschiedenen Charaktere im Buch angelangt ist.
Insgesamt aber ein lesenswerter, andersartiger, Thriller, der weniger mit
konkreter Spannung arbeitet, sondern eher in großer Breite die Frage entwirrt,
was genau damals passiert ist und im Heute des Romans vonstattengeht. Und ob
"Onkel Rusty" nun zu Unrecht im Gefängnis saß oder ein überaus
perfider Mensch ist, der strategisch geschickt mit den Gefühlen anderer spielt.
Oder ob jemand anderes der Frauen und Männer des Romans eben jenen "Willen
zum Bösen" ausgeprägt in sich trägt, der all das ins Rollen brachte und
bis in die Gegenwart des Thrillers am Rollen hält.
Fazit
Überraschungen sind dabei garantiert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2018 2018-05-29 14:30:27