Seit ihrem grandiosen Debütroman "Der Kindersammler" gilt
Sabine Thiesler als deutsche Queen of Crime. Michael Krause traf die in der Toskana lebende Autorin in
Berlin.
Feiner Nieselregen fällt auf mich herab, als ich unseren Treffpunkt erreiche: Renaissance-Theater Berlin, 19.00 Uhr. Es dauert
einen Moment, doch dann steht sie vor mir, Deutschlands erfolgreichste Krimiautorin. Wir schütteln die Hände und suchen
uns einen Platz in einem gemütlichen Cafe. Sabine Thiesler bestellt lediglich einen Tee, da sie eine böse Erkältung erwischt
hat.
Sie ist gestern aus Leipzig gekommen, wo die Premiere ihres neuen Krimis "Die Totengräberin" gefeiert wurde.
Morgen wird sie in Lehmanns Fachbuchhandlung lesen und hofft, dass sich die Erkältung bis dahin nicht verschlimmert
(eine Lesung, die sie am nächsten Tag mit Bravour meistert).
Nach dem ersten Schluck der wärmenden Flüssigkeit erzählt mir Sabine Thiesler, dass es zwei Möglichkeiten gibt, einen Krimi zu schreiben.
Entweder man schreibt über einen Serienmörder, der wahllos seine Opfer sucht, oder es geht um ein Beziehungsdrama. Über diese Variante
zerbreche sie sich seit 30 Jahren den Kopf. Schon auf ihrer Hochzeitsreise habe sie mit ihrem Mann darüber nachgedacht, wie es sei den
anderen umzubringen. Ich lache bei der Vorstellung, dieses Thema bei der Hochzeitsreise zu besprechen. Doch lächerlich ist diese
Vorstellung keineswegs, denn seit dieser Zeit ist ihr Mann der wichtigste Ratgeber.
In allen Romanen haben mich die Figuren von Sabine Thiesler besonders fasziniert. Darauf angesprochen verblüfft mich ihre Antwort,
denn im Vorfeld plant die Autorin keine ihrer Figuren. Meist ist es nur eine winzig kleine Idee, die sich als Aufhänger für einen
Roman eigne. Wenn sie davon überzeugt sei, dass sie sich die nächsten zwei Jahre mit der Idee beschäftigen möchte, beginnt sie zu
schreiben. Dabei weiß Sabine Thiesler noch nicht, wie die Geschichte abläuft. Auch die agierenden Personen sind ihr zu diesem
Zeitpunkt fremd. Erst mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat werden die Figuren komplexer und die Geschichte beginnt, zu
wachsen.
Ich nehme einen Schluck aus meiner Espressotasse und frage, warum gerade die Toskana eine große Rolle in ihren Romanen spielt.
Die erste Antwort könnte aus einem Lehrbuch für kreatives Schreiben kommen. "Man schreibt immer gerne über das, was man kennt." Doch
dann differenziert sie und erklärt mir, dass sie es reizvoll findet, in der lieblichen Landschaft der Toskana ihre Krimis anzusiedeln.
Außerdem gebe es ihr atmosphärisch mehr, als wenn sie sich nur in Wanne-Eikel im Parkhaus aufhalten würde. Letztlich würden sich aber
auch die wundervoll einsamen Häuser der Toskana bestens dafür eignen, einen Krimi dort anzusiedeln. Ein Aspekt, den Sabine Thiesler
mit dem britischen Autor Michael Morley teilt.
Bei der Frage, wie sich ihre Kreativität bemerkbar gemacht hat, antwortet sie, dass sie schon immer leidenschaftlich gerne geschrieben
habe: Briefe, Gedichte, selbst Schulaufsätze konnten nicht lange genug andauern. Da man im Alter von 17 oder 18 Jahren noch keine
Romane schreiben kann, weil es an der nötigen Lebenserfahrung fehlt, beschloss Sabine Thiesler ein Schauspielstudium zu absolvieren.
Zu dieser Zeit entstand auch der Wunsch, Drehbücher zu schreiben. Ein damaliger Kollege bot ihr an, dies zu versuchen und innerhalb
von zwei Wochen hatte sie die ersten beiden Drehbücher verkauft. Eine Leidenschaft, die sie heute nicht mehr teilt, denn sie hat dem
Fernsehen den Rücken gekehrt. "Ich bin kein Teamplayer", sagt sie und nimmt einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse. Was folgt ist
eine durchaus nachvollziehbare Abrechnung mit dem deutschen Fernsehen. "Das Desaster im deutschen Fernsehen ist die Teamarbeit. Bei 15
Autoren müssen 15 Kompromisse gemacht werden, und heraus kommt meist kalter Kaffee". Trotz dieser kritischen Einstellung würde sie eine
Verfilmung ihrer Romane nicht generell ablehnen. Doch bisher habe man ihr noch kein akzeptables Angebot gemacht. Die meisten
Produktionsfirmen wollten eher einen seichten Fernsehkrimi und dafür wolle sie ihre Stoffe verständlicherweise nicht hergeben. Dafür
könne sie sich aber eine kleine Rolle in einer Verfilmung im Stile von Alfred Hitchcock gut vorstellen.
Seit dem Erfolg ihres ersten Romans gilt Sabine Thiesler als die deutsche Krimiautorin. Trotzdem würde mich interessieren, ob es sie reizen
würde, ein anderes Genre zu bedienen. Doch das Krimigenre liegt ihr zu sehr am Herzen. "Eine reine Liebesgeschichte finde ich zu flach,
da in meinen Krimis sowieso immer eine Liebesgeschichte steckt. Warum soll ich mich also reduzieren lassen?" Überhaupt scheint ihr das
Krimi-Genre in die Wiege gelegt worden zu sein, denn schon in jungen Jahren haben sie die Geheimnis- und Abenteuerbücher mehr fasziniert
als Hanni und Nanni. Mit 17 Jahren hat sie alle Romane von Patricia Highsmith gelesen, die sie ebenfalls
fasziniert haben. Das Interesse an der Spannungsliteratur ist bis heute ungebrochen. Letztlich waren es die Werke von
Petra Hammesfahr, die Sabine Thiesler bewogen haben, ihr eigenes Romanprojekt zu verwirklichen. Eine
Entscheidung, die viele deutsche Leser sicher gut heißen.
Damit ist auch unser Abend zu Ende. Ich wünsche ihr für die Lesung viel Glück und verlasse das Lokal, um die Erkenntnis reicher,
dass Deutschlands Queen of Crime eine überaus interessante Persönlichkeit ist.
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