Hanne Wilhelmsen ist wieder da - und gerät gleich in einen neuen Fall. Ihr Zug
ist auf der Strecke von Oslo nach Bergen in einer Schneewehe entgleist. Die 269
Passagiere werden in einem Hotel untergebracht, das in dem einsamen Bergdorf
Finse - dem höchstgelegenen Bahnhof in Norwegen, 1222 Meter über dem Meer -
liegt.
Aber die Passagiere und die ehemalige Kommissarin sind nicht nur wegen des
Schneesturms und der sich aus der "Gefangenschaft" in dem Hotel
ergebenden klaustrophobische Atmosphäre irritiert, sondern auch dadurch, dass
sämtliche Ausgänge bewacht werden. Irgend etwas stimmt hier nicht. Und irgend
jemand scheint im Zug gesessen zu haben, der besonders geschützt werden muss.
Es werden Vermutungen laut: Handelt es sich um ein Mitglied der norwegischen
Königsfamilie oder gar um einen ausländischen Terroristen?
Dann geschieht ein Mord: Ein populärer Fernsehprediger wird erschossen und als
die Exkommissarin glaubt, einen Zeugen gefunden zu haben, wird auch dieser
ermordet.
Hanne Wilhemsen, die auch schon in den anderen Krimis von Anne Holt sehr
eigenwillig agierte und sich Mitmenschen gegenüber stets abweisend wirkte,
verhält sich nun noch extremer. Wer den Roman "Die Wahrheit dahinter"
gelesen hat, weiß es: Die Ex-Kommissarin wurde angeschossen - und in diesem
Buch erfährt man nun auch, dass sie seitdem querschnittgelähmt ist. Zur
körperlichen Untätigkeit verdammt, beobachtet und analysiert sie aus dieser
sitzenden Haltung heraus, was um sie herum geschieht. In vielen kurzen Sätzen
schildert Anne Holt die Befindlichkeit ihrer Protagonistin. So heißt es
beispielsweise auf nur einer einzigen Doppelseite:
"Ich interessiere mich für Menschen, aber ich will nicht, dass Menschen
sich für mich interessieren."
"Ich fühlte mich wohl, so ganz für mich allein."
"Ich hörte mir an, was die Leute so redeten."
"Ich war aufrichtig erleichtert, als die Damen in Honefoss
ausstiegen."
"Ich hatte mich zu früh gefreut."
Im weiteren Verlauf des Romans macht Hanne Wilhelmsen im klassischen Sinne eine
Entwicklung durch: Ihre Schroffheit wandelt sich mehr und mehr in ein zaghaftes
Verständnis für einige andere Mitreisende.
Anne Holt ist eine sehr genaue Beobachterin menschlicher Stärken und
Schwächen, die psychologische Ausgestaltung ihrer Figuren zeichnet sich durch
Realitätsnähe, Verständnis und Feingefühl aus.
Fazit
Genau aus diesen Gründen ist der Roman lesenswert, ansonsten ist mir der Plot -
inklusive der altbewährten Rezeptur des Einschließens mehrer Menschen unter
einem Dach - ein wenig zu vertraut. Auch die zögerliche Entwicklung der Story
sowie der bedächtige Duktus haben mich ein wenig irritiert. Zum Schluss muss
ich gestehen, dass ich nicht herausgefunden habe, wer denn nun der -
schutzwürdige - "norwegische Gast" sein soll...
Vorgeschlagen von Heide John
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veröffentlicht am 23. September 2009 2009-09-23 12:41:36