Wer sich Bücher der Reihe "Sonderwege" von Manuscriptum zulegt, kann
sicher sein, daß er Werke vor sich liegen hat, die den Rahmen des Gewohnten
verlassen. So finden wir dort eine übersichtliche Ausgabe zu den Schriften des
Philosophen einer Metaphysik der Entropie, Philipp Mainländer, unter dem Titel
"Vom Verwesen der Welt und anderen Restposten" (2004), die bereits bei
webcritics rezensiert wurde. Aber auch eine Schrift mit ebenso lockendem Titel
führt dieser Verlag in derselben Reihe: "Demokratie - Der Gott, der keiner
ist" (2003).
Friedrich Meinecke, Berliner Historiker, schrieb in seinem Werk "Die Idee
der Staatsräson" über das Potential an Vernunft in einem Staate:
"Die ‚Vernunft’ des Staates besteht also darin, sich selbst und seine
Umwelt zu erkennen und aus dieser Erkenntnis die Maximen des Handelns zu
schöpfen." (Meinecke, Die Idee der Staatsräson, Werke Band I, 1963, S. 1)
Meinecke gibt damit nichts weiter zu bedenken, als daß der richtige Staatsmann
sowohl die empirische Umgebung als auch sich selbst als Mensch umfassend
dynamisch reflektiert und damit einer gesinnungsbedingten Erstarrung des Geistes
entgegenwirkt. Mit dem vorliegenden Buch betritt Professor Hoppe genau diesen
Weg: In seinem "opus maximum" absolviert er eine empirische
Lageanalyse der Demokratien der Gegenwart und reflektiert zudem auf das
Fundament des Menschseins, wenn er beschreibt, wie deshalb die beste Staatsform
auszusehen habe. Nunmehr liegt dieses Buch in deutscher Sprache vor - in einer
vortrefflichen Übersetzung von Robert Grözinger.
Hoppe verfolgt darin im Hinblick auf vermeintlich demokratietheoretische
"Selbstverständlichkeiten" einen status-quo-kritischen Ansatz, der
die Demokratien der Gegenwart detailliert in ihren Dysfunktionalitäten
entlarvt. Es ist schlichtweg das Plädoyer des Deutschen und in den USA an der
Universität von Las Vegas lehrenden Hoppe für eine "’natürliche
Ordnung’", die dieses Buch ausmacht. Der Autor ist dem wertkonservativen
Flügel der amerikanischen Libertarians, die in der Tradition der
nationalökonomischen Schule Ludwig van Mises stehen, zuzuordnen. Seine Schrift
betont im Sinne eines konstruktiven "Geschichtsrevisionismus", der
zugleich eine Besinnung auf den resultierenden vernünftigen Staat im Sinne
Meineckes darstellt, provokativ: "Deutschland ist kein freies Land."
Anschließend prangert Hoppe den Mangel an Meinungsfreiheit in Deutschland im
Bestreben an, "Demagogentum und (...) Egalitarismus" in den
Demokratien des westlichen Europas endlich in den Fokus wissenschaftlicher
Kritik zu stellen.
Damit zusammenhängend nämlich stellt er heraus, daß die prozeduralen
Methoden, zu denen auch die sich "demokratisch" proklamierende Wahl
gehört, keine inhaltlichen und strukturellen Probleme lösen können, weil sie
gerade die Probleme der sozialen Umwelt zunehmend vergrößern und damit nicht
wie gefordert immer wieder neu erfassen. Für Hoppe besteht die einzig
effiziente und freiheitsbewahrende Alternative in einer solchen
"natürlichen Ordnung", die geprägt ist von staatsfreier
Marktwirtschaft und reduziertem parteipolitischen Demagogentum.
Und genau das macht er umfassend und überzeugend deutlich. Es geht ihm um eine
Ordnung, in der "sämtliche Güter im Privateigentum einzelner
Personen" sind und "Recht und Ordnung (...) in Eigenleistung"
erbracht werden", nämlich in nachbarschaftlicher Kooperation. Man merkt
sofort, daß der Autor, wäre er im geistigen Humus oder sollte man besser sagen
im inzwischen politikwissenschaftlichen Wüstensand deutscher
Nachkriegsdemokratie großgeworden, zu dergleichen zwar provokativen aber
wissenschaftlich grundsätzlich gebotenen Gedanken nicht in der Lage gewesen
wäre.
Hoppe verwirft mit seinem gesamten Konzept eine etatistische Sozialordnung und
einen globalen Universalismus im Verständnis von Demokratie, wenn er zu
bedenken gibt: "Zur Zeit des Ersten Weltkrieges wurde diese triumphale
Ideologie eines expansiven demokratischen Republikanismus vom damaligen
US-Präsidenten Wilson geradezu personifiziert." Deshalb, so kritisiert er,
sei im Hinblick auf Deutschlands Lage nach den Weltkriegen "aufgrund des
ideologischen Charakters des Krieges am Ende statt eines Kompromißfriedens nur
totale Kapitulation, Demütigung und Bestrafung möglich" gewesen. Und aus
heutiger Perspektive, angesichts globaler "demokratischer" Expansion,
die sich gerade auf ideologische Feindbestimmung ("Schurke") gründet,
mit diesem Feind aber nur sich selbst, das eigene Konstrukt von
"Feind", meint, im Grunde Ping-Pong in Permanenz mit sich selbst
spielt und die eigene Wirklichkeitswahrnehmung nicht zu transzendieren befähigt
ist, - aus heutiger Perspektive gleichwohl ist Hoppe wohl tendenziell Recht zu
geben. Eine Demokratie, die innenpolitisch und außenpolitisch von der
kultivierten absoluten Demütigung des politischen Gegners zehrt, verdient
diesen Namen nicht.
Hoppes Theorie wendet sich deshalb gerade auch gegen den moralisierenden
Charakter des aktuell gewordenen amerikanischen Neokonservatismus. So sieht er
einen gegenwärtigen Hang überbordender "Regierungsregulationen und
erzwungener Integration" hervortreten, der "soziale, rassenbezogene
(...) und kulturelle Spannungen und Feindseligkeiten" gerade in
‚westlichen’ Demokratien dramatisch zunehmen lasse. Egalisierungswahn und
Humanismus entlarven sich im Effekt als ihr Gegenteil: Unfreiheit,
Verantwortungslosigkeit, potentieller Imperialismus. Diese Kurzsichtigkeit
nivelliert Kulturen und plurale Demokratiebilder. Der Mensch beabsichtigt Gutes
und sät gerade damit fortwährend die Wüste der Unfreiheit. Als Beispiel
erwähnt Hoppe die riesige distributive Umverteilungsmaschinerie moderner
Staaten, um dann zu beweisen, daß gerade das, was zu seiner Reduzierung
subventioniert wird, anschließend vergrößert wieder auftritt. Armut nimmt zu,
wenn sie über Sozialleistungen subventioniert wird. Und genauso die
Arbeitslosigkeit, uneheliche Kinder und alleinstehende Mütter, Scheidungen,
Kriminalität und "politische Schmarotzerberufe" - auch der sogenannte
"Rechtsextremismus". Sie alle vermehren sich nach Hoppe als indirekte
Kostgänger des Staates, der sie eigentlich über finanzielle Gegenmittel zu
reduzieren trachtet - und damit eben nicht an der Wurzel beginnt, sondern an der
konjunkturellen Oberfläche kratzt.
Zugegeben: Vor diesem Hintergrund ist Hoppes moderner Alternative
volkssouveräner Ordnung, die weniger dogmatisch und damit nachhaltiger
wirtschaftend ist, einiges an Plausibilität abzugewinnen, dient sie doch auch
dem sozialen und familiären Zusammenhalt in selbstbewußten Gemeinschaften.
Dennoch: Seine Theorie steht und fällt am Ende damit, daß wir die Frage nach
dem von Carl Schmitt beschworenen politischen, finanziellen oder sozialen
Ausnahmezustand stellen. Sind dann private Gemeinschaften dazu in der Lage,
Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, ihr Gewaltmonopol zu bewahren, oder wird
jeder zu dem egomanen Raubtier, das potentiell im Menschen steckt und das Hobbes
grandios mit seinem Leviathan zu bändigen versuchte?
Fazit
Weder allen Konservativen noch allen Libertären wird zusagen, was Hoppe
schreibt. Dennoch bietet er eine begrüßenswerte Diskussionsgrundlage für neue
Sonderwege, deren Pluralität und tiefere Ursächlichkeit in der
Menschheitsgeschichte gerade dazu führte, daß wir überhaupt von Geschichte
reden können und nicht in der Monotonie universalistischer
Glückseligkeitsutopien verharren, die sich selbst als Ideen bekanntlich sehr
leicht als das eigentliche Problem entlarven können. Ideen müssen sich eben
umfassend empirisch legitimieren und aus tieferem Ursprung und aus tieferer
Notwendigkeit speisen. Und so ist am Ende doch wieder Meinecke zuzustimmen, der
meinte: "Die Ideen, die das geschichtliche Leben leiten, stammen freilich
gewiß nicht allein aus der geistigen Werkstatt der großen Denker, sondern
haben einen breiteren und tieferen Ursprung." (Ebd., S. 24-25)
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 01. Dezember 2007 2007-12-01 14:57:16