Der Versuch, die europäischen Staaten in ihrem eventuellen Status der
Vasallität gegenüber den USA in Relation zu den klassischen
Imperialismusdefinitionen zu setzen, ist bisher nicht unternommen worden.
Brezezinski füllt diese Lücke aus geopolitischer Perspektive mit seinem Buch,
welches bereits 1997 mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher erschien und
bei Fischer neu aufgelegt wurde. Was der ehemalige Sicherheitsberater des
amerikanischen Präsidenten Carter hier verfaßt hat, liest sich spannend. In
sieben Kapiteln handelt der Autor die geopolitische Strategie der Amerikaner in
der Welt ab.
Alle Weltreiche hätten den Hang zur Selbstauflösung, weil aufsteigende
Gegeneliten immer mehr Autonomie fordern. Die potentielle
Nicht-Handlungsfähigkeit der Staatseliten wird zur Gefahr. Dazu kommt die
Hedonismus-Spaßgesellschaft und der Mangel an Ideen ("Eskapistischer
Hedonismus"). Bis 2010 muß sich nach Brezezinski die einzige Weltmacht USA
deshalb bewähren. Die Welt der kulturellen und politischen Dekadenz könne aber
die wirtschaftliche Entwicklung nicht immer steuern. Daher rühre die heute zu
beobachtende Entwicklung, daß alle globalen Herausforderungen offensiv
angegangen werden. In Eurasien muß die Großmachtstellung behauptet werden;
hier agieren die Konkurrenzmächte; hier prallen Kulturen aufeinander. Hier
agieren auch die bedeutendsten Bündnispartner und Vasallen als Brückenköpfe.
Klare Analysen also, die der Leser hier findet und die ihn zur weiteren
Reflexion anreizen.
Die heutige US-Geostrategie erinnert bspw. an frühere Weltreiche, welche ihre
Macht auf Hierarchie von Vasallenstaaten, tributpflichtigen Provinzen und
Protektoraten stützten. Nationalstaaten als Bausteine der Weltordnung werden
heute durch internationale Organisationen überlagert, welche von der
amerikanischen Großmacht festgelegt werden. Diese hat ein Doppelinteresse: die
eigene Machtposition bewahren, die anderen Staaten zu einer institutionellen
Zusammenarbeit gewinnen. Vier Imperative imperialer amerikanischer Geostrategie
weiß der Autor auszumachen: Absprachen zwischen den Vasallen verhindern, ihre
Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit bewahren, tributpflichtige Staaten
fügsam halten, Zusammenschluß der Barbarenvölker verhindern. Erfrischend bei
der Lektüre ist, daß der Begriff "Geopolitik" erstmals wieder seinen
wissenschaftlich ihm gebührenden Rang erhält, war er doch in Deutschland lange
verpönt. Klar wird, daß er aber zum Verständnis realpolitischer Entwicklungen
als Werkzeug nicht mehr aus der Hand gelegt werden darf.
Das eurasische "Schachbrett" ist die Hauptbaustelle der
wirtschaftlich-geopolitischen Verflechtungen der Gegenwart. Es geht nun um die
Aufrechterhaltung der einzigen Weltmacht, und Eurasien wird nach Brzezinski der
zentrale Kontinent sein, auf dem mit zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung
die USA für ein Ausbalancieren der Verhältnisse sorgen müßten - eine
merklich völlig sich bewahrheitet habende Analyse, betrachtet man die
Weltpolitik. Der amerikanische Imperialismus baue wesentlich auf das, was er in
Europa bereits geschaffen hat, nämlich tributpflichtige Vasallen. Westeuropa
als "demokratischer Brückenkopf" (89) auf dem eurasischen Schachbrett
ist wesentlich das Produkt amerikanischen Einflusses, auf dessen Vasallen und
deren Solidarität heute die einzige Weltmacht zurückzukommen genötigt ist.
Der demokratische Interventionismus der USA setzt sich fort und zwar mit der
Unterstützung derer, die bereits durch die USA "demokratisiert"
worden sind. Ein wachsendes Europa ist ein geeignetes Sprungbrett, von dem aus
sich die "internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit",
wie Brzezinski sie erkennt, "nach Eurasien hinein ausbreiten läßt".
(129)
Die internationale Interdependenz ist zu einer solidarischen und für die
Amerikaner lebenswichtigen geworden. Die genußsüchtigen Massen sollen
weiterhin durch die Strategie der USA für amerikanische Politik gewonnen
werden. Auch Brzezinski spricht von "kultureller Lethargie" und
"eskapistischem Hedonismus". (111) Leider geht der Autor zu kurz auf
die historischen Wurzeln des expansiven Strebens der USA ein, die bis in das 19.
Jahrhundert (namentlich "Monroe-Doktrin") zurückreichen und mit dem
Einschreiten der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 das erste Mal direkt auf
Europa übergriffen. Die amerikanischen Rüstungen dienten recht früh der
Schaffung eines Maximums an politisch-strategischer Sicherheit. Bereits hier
zeichneten sich bekanntlich schon Formen informeller Herrschaft, strenger
monetärer und institutioneller Interdependenz ("Völkerbund") ab.
Dennoch, Brzezinski, heute Professor für amerikanische Außenpolitik an der
Johns Hopkins Universität in Washington D.C., beschreibt Dinge, die zu benennen
deutsche Akademikerkollegen tendenziell vermieden haben. Ein Beitrag zur
Fortentwicklung der Theorie der modernen Geopolitik auch in Deutschland,
insbesondere im Hinblick auf die Rolle des deutschen Vorreiters derselben Karl
Haushofer, der schon in den 30’er Jahren von "Brückenköpfen" und
"Allianzen" sprach, ist dieses Buch allemal. Es zeugt von Intelligenz,
Konsequenz, und vor allem von weiter Voraussicht, wenn Brzezinski zwar für die
nächste Zukunft an die amerikanische Dominanz denkt, aber darüber hinaus
langfristig kooperative Strukturen und gar Dekadenz sowie völligen Untergang
erwägt.
Fazit
Ein Beispiel hervorragender geopolitischer Wissenschaft, wie sie in Deutschland
erst wieder entstehen muß.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 23. September 2007 2007-09-23 11:02:22