Christopher Clarks neues Buch über Preußen ist eine hervorragende Darstellung
über Aufstieg und Niedergang Preußens zwischen 1600 und 1947. Er sieht
Preußens Geschichte - im Gegensatz zu zahlreichen früheren britischen
Historikern - nicht nur als Verhängnis an, welches zum Niedergang Deutschlands
geführt habe (etwa im Vergleich zu Shirers monumentaler Studie zum Dritten
Reich, die dessen Existenz auf das "preußische" und deutsche Erbe
ziemlich undifferenziert zurückführt), sondern ist eine wohltuend
differenzierte Darstellung, die nicht nur fesselnd geschrieben ist, sondern sich
bemüht, Preußen vorurteilslos darzustellen und zu "erzählen".
Vergleichbar ist das umfangreiche Werk daher am ehesten mit dem - ebenfalls
hervorragenden - Band von Sebastian Haffner: "Preußen ohne Legende"
aus dem Jahre 1979. Christopher Clark erzählt Preußens Geschichte so
"lesbar", dass sowohl Laien als auch Wissenschaftler gleichermaßen
Zielgruppe sind. Ein vorzügliches Quellen- und Literaturverzeichnis rundet den
gelungenen Band ab.
Preußens Höhepunkt sieht Clark in der Zeit zwischen 1713 und 1786, also den
Regentschaften des "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelms I. und seines
Sohnes, Friedrichs II. Auch das deutsche Kaiserreich wurde - vor allem mit der
Vorrangstellung des Militärs - ein "erweitertes Preußen" mit dem
Preußischen König als deutschem Kaiser. So bleibt deshalb zu fragen, ob der
Titel des entsprechenden Kapitels: "In Deutschland aufgegangen"
wirklich richtig gewählt wurde oder nicht der neu gegründete Staat von 1871
ein erweiteres Preußen-Deutschland gewesen ist, wie es der Autor auch
eigentlich darstellt.
Die einzige Kritik, die ich an diesem fulminant erzählten und fesselnden Werk
gefunden habe (und daher lediglich mit 4 Sternen bewerte) ist, dass die
Sozialgeschichte eindeutig zu kurz kommt; der Schwerpunkt liegt auf der
Ereignisgeschichte bzw. brilliant geschriebenen biographischen Essays.
Natürlich werden auch die politischen Ideen (etwa der Pietismus) und die
einzelnen Mächte im Land (Städte, Landadel) beschrieben. Die Auswirkungen der
Industrialisierung kommen jedoch eindeutig zu kurz. Industrialisierung und die
damit erzwungene Modernisierung waren wichtige Faktoren, die auch Preußen
prägten - die preußischen Güter waren überschuldet und marode, der
industriellen Konkurrenz nicht mehr "gewachsen" - und es ist
bezeichnend, dass der letzte Anlass zum Sturz von Heinrich Brüning die von ihm
gesehene Notwendigkeit gewesen ist, die großen Güter in Ostpreußen zu
parzellieren und aufzuteilen, was ihm prompt in der Umgebung Hindenburgs als
"Agrarbolschewismus" verübelt wurde.
Es sind - wie oben erwähnt - insbesondere die biographischen Portraits - von
den Königen bis zu Politikern wie dem letzten preußischen Ministerpräsidenten
in der Weimarer Republik, Braun und auch Hindenburgs, die das Buch lesenswert
und interessant machen. Es ist dem Autor in jedem Fall gelungen, das
"zwiespältige Bild" Preußens, welches eben nicht nur Aufklärung und
Toleranz und die vielgelobten preußischen Tugenden, sondern eben auch durch
Militarismus, Maßlosigkeit und auch Selbstüberschätzung (letzteres
insbesondere unter Wilhelm II., dem letzten "deutschen" Kaiser)
geprägt waren, aufzuzeigen. So ist eine insgesamt wohltuend differenzierte und
gut lesbare Studie entstanden, die Haffners Werk und dem grundlegenden
Preußen-Buch von Hans-Joachim Schoeps in keiner Weise nachsteht und sicherlich
bald zum Standardwerk der Preußen-Werke zählen wird.
Fazit
So ist eine insgesamt wohltuend differenzierte und gut lesbare Studie
entstanden, die Haffners Werk und dem grundlegenden Preußen-Buch von
Hans-Joachim Schoeps in keiner Weise nachsteht und sicherlich bald zum
Standardwerk der Preußen-Werke zählen wird.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 23. März 2007 2007-03-23 16:10:38