Ginge es nach unseren Sicherheitspolitikern, würde unsere Freiheit
radikal eingeschränkt
Mit seinem Roman "
Zwillingsspiel" gelang
Markus Stromiedel 2008 ein grandioses Thrillerdebüt. Jetzt hat der in Bonn
lebende Autor seinen zweiten Roman veröffentlicht. Buchtips.net war bei der Premiere im Berliner Kriminaltheater dabei und
hatte Gelegenheit, mit Markus Stromiedel über sein neues Werk zu sprechen.
Michael Krause: Wie haben Sie den Erfolg von "Zwillingsspiel" wahrgenommen?
Markus Stromiedel: Das war sehr aufregend und sehr schön: zu merken, dass die Geschichte, die ich erzählen wollte,
die Leser und Leserinnen tatsächlich interessiert und bewegt. Wenn man sich ein Jahr lang mit einem Buch beschäftigt – so
lange dauerte die Arbeit an "Zwillingsspiel" –, dann wird man unweigerlich irgendwann unsicher und fragt sich, ob das, was man
da schreibt, gut ist oder einfach nur Bullshit. Ich war sehr erleichtert, als die ersten positiven Kritiken kamen und
sich abzeichnete, dass das Buch den Lesern gefällt. Dass sich das Buch dann so gut verkauft hat, war schon überwältigend.
MK: Sie beschäftigen sich in "
Feuertaufe" mit der Vision eines
Überwachungsstaates in Deutschland. Wie ist die Idee zu diesem Roman entstanden?
MS: "Feuertaufe" ist ja quasi eine Fortsetzung von "Zwillingsspiel", und so wie in meinen ersten Buch sollte sich der
Roman mit einem aktuellen politischen Thema auseinandersetzen. Nachdem ich in "Zwillingsspiel" den islamistischen Terrorismus
nach Deutschland gebracht hatte, dachte ich für "Feuertaufe" die Geschichte weiter: Wie würde die Politik auf derartige
Ereignisse reagieren? Zur Erinnerung: Nach dem Terroranschlag 2001 auf das World Trade Center war die Reaktion des damaligen
deutschen Innenministers, per Gesetz das gezielte Abschießen von Verkehrsflugzeugen – also das Töten von Unschuldigen – zu
erlauben. Das wurde zum Glück später vom Bundesverfassungsgericht untersagt, aber die Zielrichtung war klar: Ginge es nach
unseren Sicherheitspolitikern, dann würde zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit unsere Freiheit radikal eingeschränkt. Was
das bedeutet, welche Konsequenzen dieses Denken für uns hat, das ist das Thema von "Feuertaufe".
MK: Wie sind Sie an die Recherche gegangen?
MS: So wie immer: viele Zeitungen, viele Telefonate, viele Tassen Kaffee... Man erfährt erstaunlich viel, wenn man
mit Menschen redet, wenn man genau und gezielt nachfragt. Es wird in Deutschland viel weniger geheim gehalten, als man
denkt, bis auf innerste Abläufe zum Beispiel im Kanzleramt.
MK: Wie nah werden wir in Deutschland nach Ihrer Meinung dem Szenario kommen, das Sie in "Feuertaufe" schildern?
MS: Mir war wichtig, eine Vision zu entwerfen, die nicht phantastisch, sondern tatsächlich möglich ist. Alle im
Buch beschriebenen Überwachungstechniken gibt es heute schon, oder sie sind in der Entwicklung. Es braucht nicht mehr viel,
dann kann in der nahen Zukunft Realität werden, was ich beschreibe – wenn wir nicht heute aufpassen und uns dagegen wehren.
Denn darum geht es mir: mit Hilfe einer spannenden Geschichte klar zu machen, was geschehen kann, wenn wir einfach so
weitermachen wie bisher. Übrigens: Im Herbst kommt der neue Personalausweis mit eingeschweißtem RFID-Chip...
MK: Sie zeichnen ein eher düsteres Bild von Berlin in der nahen Zukunft (z.B. Aufgabe der östlichen Randbezirke durch
den Senat). Glauben Sie, dass sich die Stadt in diese Richtung entwickeln wird?
MS: Es ist sicher krass, was ich beschreibe, aber es ist im Bereich des Möglichen. Schon jetzt wird Geld umverteilt,
auf Kosten der Wenigverdiener. Die Mehrwertsteuersenkung für Hotelbesitzer zum Beispiel kostet Milliarden – Geld, das an
anderer Stelle fehlt. Ich bin mir sicher, dass irgendwann jemand auf die Idee kommen wird, man solle sich auf das
Wesentliche konzentrieren – was immer das dann gerade für eine Klientel ist, der man etwas vor der Wahl versprochen hat –
und dafür Problembezirke aufgeben, nach dem Motto: Dort leben angeblich die, die nichts leisten, also geben wir denen auch
nichts. Das ist eine ganz fatale Entwicklung, die wir irgendwann einmal teuer bezahlen werden.
MK: Stand von Beginn an fest, dass Paul Selig auch im zweiten Roman wieder die Hauptfigur wird?
MS: Ja. Neben der polizeilichen Ermittlungsarbeit und dem politischen Hintergrund ist Seligs persönliche Geschichte
das, was die Story trägt. Der Entwicklungsbogen von Selig ist zunächst auf drei Bücher angelegt, im dritten Buch wird wieder
die Verbindung zurück zum Prolog von "Zwillingsspiel" geknüpft, so dass wir, so hoffe ich, endlich verstehen, warum Seligs
Vater seine Kinder so behandelt hat, warum Seligs Kindheit derartig traumatisierend für den Kommissar war. Ich bin selber
sehr gespannt, ob sich alles so wie geplant zu einer Einheit fügt.
MK: Neben seinem aktuellen Fall muss sich Paul Selig auch mit seinem heranwachsenden Sohn Tobias auseinandersetzen.
Gibt es Parallelen zu Ihrer Jugend?
MS: Natürlich. Ich glaube, jeder kennt diese Energie, die in diesem Alter in einem steckt, diese Zuversicht und
diese Kraft, gepaart mit dem Wunsch, etwas zu verändern und zu bewegen. Ich war nicht so radikal wie Tobias, aber ich war
so überzeugt wie er, dass man was tun muss, um die Welt zu verbessern.
MK: Kanzlerin Bergstedt und Innenminister Weyland sind zwar fiktive Figuren, aber wie weit haben Sie sich von
echten Persönlichkeiten inspirieren lassen?
MS: Ich habe, auch wenn manche Leser das vermuten, keinen Schlüsselroman geschrieben, es gibt keine konkreten
Vorbilder für einzelne Figuren. Es erstaunt mich aber nicht, dass der eine oder andere in meinen Figuren konkrete
Politiker wiederzuerkennen glaubt. Menschen in Machtpositionen verhalten sich ähnlich, da sind Parallelen zwingend.
MK: Wie wichtig ist es Ihnen, den Leser neben der Unterhaltung zu informieren?
MS: Mir ist es in erste Linie wichtig, die Leser zu unterhalten. Meine Bücher sollen leicht lesbar sein, für
Spannung sorgen, sie sollen die Leser in die Geschichte hineinziehen. Und dann, quasi durch die Hintertür, platziere
ich meine Botschaft. Wenn der eine oder andere darüber nachdenkt, fände ich das klasse.
MK: Seligs Nachbar Harms erinnert an den Schauspieler Guntbert Warns, der sie auf Ihren Lesungen begleitet hat.
Stimmt diese Einschätzung?
MS: Guntbert Warns ist ein toller Schauspieler, und ich mag es sehr, mit ihm bei Lesungen zu sein. Wenn Guntbert
aus meinen Büchern liest, dann erweckt er tatsächlich meine Figuren zum Leben. Ein tolles Erlebnis! Klar, ich bin mir
sicher, dass er den Nachbarn spielen könnte, gar keine Frage – und nicht nur diese Rolle.
MK: Sie haben als Journalist angefangen und seit 1999 als freier Drehbuchautor gearbeitet. Sind Sie in diesem
Bereich noch aktiv?
MS: Ich liebe das Drehbuchschreiben viel zu sehr, als dass ich das aufgeben würde. Zur Zeit schreibe ich regelmäßig
mit meiner Co-Autorin Dina El-Nawab für die ARD-Serie "Großstadtrevier", entwickle Serienkonzepte und entwerfe von Zeit
zu Zeit einen "Tatort", je nach Bedarf und Nachfrage.
MK: Würde es Sie reizen ein Drehbuch zu einer Paul-Selig-Verfilmung zu verfassen?
MS: Selbstverständlich! Und das ist auch so geplant, sollte es gelingen, eine Verfilmung von "Zwillingsspiel" und
von "Feuertaufe" zu finanzieren. Das geht jedoch nur gemeinsam mit dem Fernsehen, und das heißt, es muss sich ein
Fernsehsender an den Stoff herantrauen. Und das ist die größte Hürde: Politischen Themen nähern sich deutsche Redaktionen
nur mit Vorsicht, selbst wenn die Buchvorlage erfolgreich ist. So etwas wird lieber fertig im Ausland eingekauft, in
Dänemark zum Beispiel, oder in den USA. Erstaunlicherweise scheint der Erfolg dieser ausländischen Filme bei uns niemand
auf die Idee zu bringen, man könnte so etwas selber produzieren und seinerseits ins Ausland verkaufen.
MK: In den letzten Jahren sind immer mehr deutschsprachige Thrillerautoren auf den Markt gekommen. Gibt es mit den
Kollegen Kontakte?
MS: Ich bin Mitglied im "Syndikat" (www.das-syndikat.com), der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Die
"Criminale", das jährliche große Autorentreffen, ist ein wunderbarer Ort, um sich zu sehen und miteinander zu reden. Auch
während der Buchmessen in Leipzig und Frankfurt treffe ich den einen oder anderen Kollegen. Ansonsten gibt es nur eher
sporadische Kontakte – mir geht es wie allen, die viel arbeiten: Die freie Zeit abseits des Schreibtisches ist knapp.
MK: Letzte Frage: Haben Sie Ihre Aversion gegen das Schreiben von Danksagungen ablegen können?
MS: (lacht) Sie spielen auf die Danksagung in "Feuertaufe" an - doch, Danksagungen sind ganz prima. Werde ich
jetzt immer machen.